Glosse 96: "DURCHDIGITALISIERT"

Mitverfasser Alexander Hoffmann

Vorbemerkung: Der Schweizer Rotary Club Redliwil ist frei erfunden.
Seine Adresse lautet: www.rc-redliwil.ch

Verfasser: Alexander Hoffmann / Erich Gerber 


"Durchdigitalisiert"

Rotarier Max Schnebeli, Chefarzt i. R. im Klinikum Redliwil, war ein Urgestein des Clubs. Als sein 80. Geburtstag nahte, begannen umfangreiche Planungen, um ihn mit einem Festabend zu ehren.

Dem Jubilar graute davor. Zur Gattin Rosalie meinte er: „So viele Leute auf einem Haufen! Fritz Mühsam, sein Nachfolger als Klinikchef und ebenfalls Rotarier, würde die Festrede halten. „Dabei habe ich mich bis heute noch nicht von seiner Laudatio zu meinem Siebzigsten erholt“, seufzte er.

Was tun? Max Schnebeli dachte darüber nach, als er den letzten Wochenbericht seines Clubs Redliwil las. Auf Papier, denn er war der letzte im Club, der sich das Dokument per Post zustellen ließ. Zur Elektronik hielt er eine vornehme Distanz.

Dann kam die Corona-Pandemie und seiner Ehefrau gelang es, ihn für die neuen Online-Meetings im Club zu erwärmen. Von einer Freundin hatte sie vernommen, dass der benachbarte Rotary Club Limmattal dank der Technik seines Mitgliedes Pascal schon 8 Meetings problemlos online durchgeführt hatte. An einem Meeting waren sogar 36 Mitglieder präsent, mit Bild einzeln erkenn- und ansprechbar. Bei Vorträgen waren technische Präsentationen gut erfassbar.

Nun sass Max Schnebeli also erstmals vor dem Bildschirm eines Rechners und fragte seine Frau: „Wenn ein Freund zu lange redet, kann ich den einfach per Tastendruck abstellen?“Die Gattin nickte.

„Großartig“, sagte er und spürte eine Art Urknall in sich. Er kaufte sich ein Hochleistungs-Notebook und belegte an der ETH Zürich den „Masterkurs Social Media“. Seine Privatbibliothek mit ihren 6.277 Bänden sowie die 27.131 Fotos transferierte er in das Notebook, das Testament und sein Tagebuch kamen zugriffssicher in die Cloud. Er tauchte ein in Facebook, Twitter, Xing, TikTok und Instagram, wo er bald als Platzhirsch die Gruppen dominierte.

Kurz vor dem 80. Geburtstag raunte Kassier Armin Geldmacher: „Max hat sich komplett entmaterialisiert. Es gibt ihn nur noch digital." Vorsichtig fragte Präsident Bräker seinen Freund Max an, wie man es denn mit seinem großen Tag halten solle.

Dieser erwiderte per Twitter: „Gar nicht“.

Am Jubeltag selbst grüßte er aber alle Freunde per Whatsapp mit einem Selfie, das ihn beim beschaulichen Wandern rund um die Blumenwiesen des Redliwiler Horns zeigte. Außerdem hatte er eine generöse Spende für den Jugenddienst seines Clubs Redliwil überwiesen.

Als die normalen Meetings in den Heidistuben wieder begannen, glänzte Max Schnebeli aber durch Abwesenheit. Präsident Bräker rief ihn an: “Lieber Max, wann sehen wir Dich endlich wieder einmal persönlich wieder?“

Max hüstelte: „Weiß ich noch nicht. Morgen muss ich erst mal für ein paar Wochen ins Silicon Valley. Dort bin ich zu einem Gastvortrag eingeladen.“

Schluss